Ich war in München und fühlte mich den ganzen Tag wie eine Heldin!
Lass mich erzählen, warum:
Es begann schon bei der Anreise. Der Zug am Samstagmorgen war erwartungsgemäß gut gebucht. An jedem Bahnhof stiegen mehr Leute ein als ausstiegen. Und was tat ich? Ich räumte meinen Rucksack vom freien Platz neben mir und legte ihn auf die Gepäckablage. Obwohl er schwer war! So konnte neben mir noch jemand sitzen und entspannt mitreisen.
Als ich im U-Bahnhof in München versehentlich drängelte, merkte ich es sofort und entschuldigte mich freundlich. Die Frau antwortete entspannt, dass sie ja Gott sei Dank meinen großen Rucksack als Puffer gehabt hätte, falls es noch enger geworden wäre.
An der Rolltreppe wartete ich wieder geduldig im Pulk, als sich ein junger Mann (ja, er war schwarz) an mir vorbeidrängen wollte. Ich blieb gelassen und reagierte trotz Eile nicht. Und was tat er? Er blieb stehen, machte eine höfliche Handbewegung und ließ mich vor. Natürlich bedachte ich ihn mit einem Lächeln und einem freundlichen Dankeschön.
Auf dem Münchner Buchfest, das mein Ziel war, saß ich eine Weile am Stand des LebensGut Verlags, der gleich am Eingang zum Buchfest war. Die Menschen, die herein- und an unseren Stand kamen, begrüßte ich alle mit Grüß Gott oder Hallo und einem freundlichen Blick. Die meisten grüßten zurück und gingen gut gelaunt weiter oder trauten sich sogar, mich und die anderen was zu fragen.
Auf der Rückreise sprach ich mehrere Mitreisende an, bekam eine nette Antwort und wir alle maulten nicht über die Deutsche Bahn, obwohl es Grund dazu gegeben hätte.
Du sagst empört: Das ist doch kein Heldentum?
Und du hast recht! Das sind alles alltägliche Dinge, die selbstverständlich sein sollten.
So siehst du es, und so sehe ich es.
Auf LinkedIn hingegen sind solche banalen Ereignisse für viele Leute Stoff für Content ohne Ende!
Alles Heldinnen (und Helden) auf LinkedIn?!
Zugegeben, ich weiß nicht, ob es auf anderen sozialen Netzwerken auch so von Heldinnen und Helden wimmelt.
Auf LinkedIn, eine der letzten Social-Media-Plattformen, die ich noch nutze, begegnen mir ständig Menschen, die nicht nur heldenhafte Leben führen, sondern die uns ihre Heldentaten auch noch brühwarm erzählen – inklusive Emojis und KI-generierten Überschriften und emotionalen ersten Sätzen!
Es reicht von aufgehängten Vogeltränken im heißen Sommer über das empörte und anonyme Anschwärzen von Gästen, die die Kellnerin sexistisch beleidigen bis hin zu banalen Alltagserlebnissen, aus denen dann eine noch banalere Erkenntnis gebastelt wird. Welche dann – natürlich – mit dem eigenen Business in Verbindung gebracht wird. Und mit der scheinbar einzigartigen Expertise, die es gegen Geld zu kaufen gibt.
Solche Geschichten werden geschaffen, erfunden und missbraucht, um dem Algorithmus zu gefallen, der hoffentlich für viel Reichweite (und damit für gefühlte Berühmtheit) sorgt.
Die am häufigsten erzählte Heldengeschichte geht ungefähr so (und ist bei weitem nicht neu):
Jemand steht an der Supermarktkasse (wahlweise am Kiosk) und direkt davor gibt es einen kleinen Tumult. Denn: Die Kundin (meist sind es Frauen), die gerade an der Reihe ist, hat leider nicht genügend Geld, um ihren recht übersichtlichen Einkauf zu bezahlen.
Jedes Mal ist das Personal kompromisslos und besteht auf der vollen Bezahlung oder auf das Retournieren von Einkäufen. Damit der Restbetrag von oft unter 5 Euro ausgeglichen wird und die Kasse stimmt.
Die Kundschaft in der Schlange scharrt ungeduldig mit den Füßen, bleibt aber ansonsten unbeteiligt.
Auftritt des Helden (meist ist es ein Mann): Er zückt sein Portemonnaie, bezahlt den gesamten Einkauf mit einem großen Schein und überlässt das großzügige Trinkgeld der „klammen“ Person. Diese ist zunächst sprachlos, dann ablehnend und schlussendlich dankbar.
Der Held hingegen genießt den Applaus des Publikums, fühlt sich unsterblich und beauftragt ChatGPT mit der Formulierung eines LinkedIn-Beitrags. Er sucht ein schmuckes Selfie von sich heraus und veröffentlicht seine Heldentat.
Dann suhlt er sich in Likes, Kommentaren und Bestätigung. Denn natürlich haben ganz viele andere schon etwas Ähnliches getan und begrüßen ihn jetzt im „Heldenclub“. Das Wort „Zivilcourage“ fällt oft, und dass wir davon mehr brauchen. Häh?
Es muss schön sein, ein Held zu sein!
So banal und kopiert diese Story schon beim zweiten Mal klingt, so umfangreich sind die Reaktionen darauf. Für Helden gibt es eine große Nachfrage, so scheint es.
Alle Appelle und Beschwichtigungen von Vernünftigen nützen nichts. Auch nicht die eindeutigen Hinweise auf ein Plagiat oder wenigstens einen erfundenen KI-Post.
Am besten gefallen hat mir bisher der Anti-Helden-Beitrag von Ahmet Iscitürk, der natürlich auch einer alten Dame im Supermarkt beigestanden hat. Aber er hat sich professionell verhalten und von der Dame eine angemessene Gegenleistung verlangt. Achtung Satire!
Und dann ist da endlich ein echter Held – ganz ohne Geltungssucht!
Erdal Uğur Ahlatçı berichtete (ja, auch auf LinkedIn) von einem Workshop, den er in einer Schule gehalten hat. Thema: Rassismus.
Ein Mädchen erzählte von ihren Erfahrungen, und zwar stolz wie eine Heldin:
Sie saß mit ihrer Freundin im Bus, als ein Mann auftauchte und sie rassistisch beleidigte. Er forderte sie auf, aufzustehen und ihm Platz zu machen. Genau zum rechten Zeitpunkt stellte sich ein Jugendlicher dazwischen. Einfach so. Ohne großes Aufheben. Er sagte: „Lassen Sie sie in Ruhe.“ Und der Mann wich zurück.
Mehr brauchte es nicht, um die Situation zu deeskalieren und dem Mädchen Mut und Zuversicht zu geben – echte Zivilcourage halt.
Der junge Mann im Bus hat übrigens weder einen LinkedIn-Post abgesetzt, noch sich sonst in den Mittelpunkt gestellt.
Und trotzdem ist er viel mehr Held als all die anderen!
Denn:
Ein echter Held tut einfach das, was zu tun ist. Mit Mut. Und mit Zivilcourage.
Seine Geschichte erzählen andere.
Was ist deine Perspektive auf dieses Thema?
Füge sie gerne in den Kommentaren unten hinzu.
Vielen Dank.

Beschäftige mich gerade mit symbolischer Selbstergänzungstheorie und deine „Helden“ passen da wunderbar rein. Erstaunlich, wie viele Menschen derart unterwegs sind. Bezieht sich nicht nur auf Social Media.
Danke, Christl, für diesen Beitrag. Es freut mich, dass das Thema der Kolumne zu deinen „Forschungen“ passt. Viele Grüße Gabriele