Nach dem Urlaub ist vor der Kündigung
Wer entspannt im Liegestuhl liegt, die Kraft der Natur genießt oder sich in aufregende Abenteuer stürzt, kommt auf die fantastischsten Ideen. Eine davon: Ich schmeiß’ alles hin und suche mir einen neuen Job!
Allen, die diesen Gedanken habe, rate ich wirklich wohlgemeint: Denk nochmal darüber nach! Und zwar nicht, weil die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland seit langem wieder über 3 Millionen liegt und die Konkurrenz so groß ist.
Was sich am Urlaubsort, dort wo das Gras vermeintlich grüner ist als zu Hause, so leicht anhört, stellt sich im „echten Leben“ nicht selten als Horrortrip heraus.
Zumindest, wenn man den Geschichten Glauben schenkt, die in einschlägigen sozialen Netzwerken erzählt werden! Die Jobsuche ist heutzutage anscheinend ein Minenfeld, das man nur mit dickem Schutzpanzer betreten sollte:
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Stellenanzeigen mit unrealistischen Anforderungen
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Personalabteilungen, die nicht erreichbar sind
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Bewerbungssysteme, die 0,0 % Abweichen von der Norm zulassen
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Unternehmen, die das „Ghosten“ exzellent beherrschen, obwohl es gar nicht in ihrem Unternehmens-Manifest steht
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fadenscheinige Absagen
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Diskriminierung von Frauen, Menschen mit ausländisch klingendem Namen und jenen über 50
- über 100 Bewerbungen verschickt und immer noch kein Job
Dagegen erscheint das Dschungel-Camp wie der reinste Club-Urlaub!
Mythos: Fachkräftemangel
Die andere Seite, die der Unternehmen, hingegen, wird seit Jahren nicht müde zu betonen, dass ihnen Fachkräfte fehlen. „Wir könnten mehr produzieren/absetzen/abwickeln, wenn wir mehr Personal hätten!“ hört man von Verantwortlichen der obersten Etage.
Da fragt sich doch jedes Schulmädchen: Warum nehmt ihr nicht die 3 Millionen, die nicht nur arbeitslos, sondern sogar arbeitssuchend gemeldet sind?
Wie kann in der Politik ernsthaft darüber debattiert werden, dass wir alle bald bis 70 arbeiten müssen, während jetzt schon alle, die sich dem 50. Lebensjahr auch nur nähern als zu alt aussortiert werden?
In Wirklichkeit (Achtung: Ironie) liegt es natürlich weder am Alter, noch am Geschlecht, noch an der Herkunft, dass Personalabteilungen (oder ihre künstlichen Intelligenzen) Bewerbungen, die stundenlang mit Akribie erstellt wurden, in Sekundenschnelle aussortieren!
Tipp-, Rechtschreib- und Flüchtigkeitsfehler werden am häufigsten angeprangert vom Rekrutierungspersonal in Agenturen und Unternehmen.
Auch, dass sich Jobsuchende zu wenig mit dem Unternehmen auseinandersetzen, wird oft bemängelt.
Fehlende Unterlagen (Schulzeugnisse vom letzten Jahrhundert), Lücken im Lebenslauf, ehrliche, aber zu hoch gegriffene Gehaltsvorstellungen oder eine falsch verwendete Floskel im Arbeitszeugnis führen beim Fachpersonal oft zu einem schlechten Bauchgefühl.
Und dieses Gefühl, weil eben nicht wirklich messbar, muss für viele Entscheidungen herhalten – auch wenn das nur im positiven Fall zugegeben wird. Also dann, wenn man neue, hoch qualifizierte Mitarbeitende (sogenannte High Performer oder wenigstens High Potentials) günstig schießen konnte.
Ja, solche Sätze fallen nach erfolgreichem Absch(l)uss!
Ich beziehe mich auf eine zuverlässige Quelle – mich selbst. Denn bis 2019 war ich mehrfach in unterschiedlichen Rollen im Recruiting tätig und kenne diese Seite der Medaille weit besser, als die der Bewerbungen.
Ich schwöre: Solche Sätze wie oben, kamen nie aus meinem Mund.
In den letzten Jahren beobachte ich den Bewerbungsmarkt aus der Ferne und komme aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus. Denn: Beide Seiten glauben sich im Recht und steigern sich ins Beschuldigen hinein bis zum Gehtnichtmehr.
Will heißen: Würden „die“ sich menschlich, korrekt und zuverlässig verhalten, wäre das Leben so viel besser und leichter und es gäbe nur glückliche Menschen in perfekten Jobs und kaum Vakanzen!
Wie Romeo und Julia finden sie nicht zueinander
Zugegeben: Der Vergleich hinkt ein wenig. Denn das Liebespaar aus Verona hat sich bestimmt nicht bekriegt. Das haben ihre Familien für sie übernommen. Doch genau wie Romeo und Julia kommen Bewerbende und Unternehmen nicht zusammen. Zu groß ist die Kluft, zu vergiftet scheint der Boden.
Das Drama von Shakespeare endet bekanntermaßen doppelt tragisch, mit dem Tod. Das liegt unter anderem daran, dass die Kommunikation zwischen dem Paar misslingt – trotz oder wegen eines als kompetent geltenden und gerade deshalb fragwürdigen Beraters (ein katholischer Geistlicher, der Ratschläge in Liebesdingen gibt).
Miteinander reden statt übereinander
In unserer Recruiting-Landschaft im 21. Jahrhundert geht vieles schief. In erster Linie wird vergessen, dass im Bewerbungsdschungel ausschließlich menschliche Wesen leben, die sich meist nicht kennen und sich dennoch ein Bild voneinander machen müssen.
Diese Menschen haben Bedürfnisse, Ängste, Schwächen und Stärken. Sie tragen einen emotionalen Rucksack mit sich herum, viele, ohne es zu wissen. Und zwar auch in Personalabteilungen, wo noch Druck, wenig Wertschätzung und sehr viel Ohnmacht hinzukommen.
Leider werden diese persönlichen Befindlichkeiten in der Regel ignoriert. Schließlich geht es ums Business, da ist kein Platz für Sentimentalitäten. Wir sind Profis!
Das heißt allerdings: Alle Beteiligten haben eine zweite Agenda im Kopf, die sie natürlich nicht offenlegen. Im Bewerbungsprozess wird überhaupt viel mehr verschwiegen, als ausgesprochen wird. Kein Wunder, dass der Frust und das Misstrauen so groß sind.
Shakespeare hätte es nicht besser inszenieren können.
Schaffen wir Bewerbungen doch einfach ab, wenn sie niemandem Spaß machen!
Wenn wir wissen, dass es für Jobsuchende ein schweißtreibender Marathon ist, eine Bewerbung zu verfassen, abzuschicken und dann auch noch auszuhalten, was danach passiert oder nicht passiert, können wir davon ausgehen, dass das Ganze ihnen keine Freude macht.
Wenn wir auch wissen, dass Unternehmen zwar am liebsten viel Auswahl für ihre offenen Stellen haben, gleichzeitig aber möglichst wenig Arbeit mit Bewerbungen haben wollen, müssen wir davon ausgehen, dass eingehende Bewerbungen eher störend sind. Sofern sie nicht von einer eierlegenden Wollmilchsau kommen.
Unter diesen Umständen wäre es doch allen Seiten bestimmt genehm, wenn wir diesen überalterten Prozess abschaffen würden. Und zwar ganz!
Keine halb lebendigen, fadenscheinigen Innovationen wie: Wir wollen kein Anschreiben mehr (im Gegensatz zu deinem Abi-Zeugnis von 1992 lesen wir dieses nämlich nicht). Oder: Komm zum crazy Speeddating, aber bring auf jeden Fall eine klassische, lückenlose Bewerbung mit!
Mein ernstgemeinter und tatsächlich schon viele Jahre alter Vorschlag ist: Geht doch wirklich neue Wege! Also in echt!
Es gibt ihn: einen Lichtblick
Bei quäntchen und glück (q&g), ein Kollektiv aus Darmstadt, passiert gerade (August 2025) genau das – ein erster Schritt in ein neues Zeitalter!
Sie trauen sich und haben aktuell eine Stelle ausgeschrieben, die nicht nur attraktiv ist. Sie ist auch zu bekommen – ganz ohne Bewerbung. Alles was „verlangt“ wird, ist, einen Fragebogen auszufüllen. Das dauert ungefähr 15 Minuten.
Die Leute von q&g sagen dazu: „So lesen wir gleich das Relevante.“ Das Faire daran: Im Fragebogen werden so gut wie keine personenbezogenen Daten abgefragt, schon gar keine Fotos!
Ich habe es getestet und sage: wow!
Was denkst du?
Würden Bewerberinnen und Bewerber so einen Bogen auch gerne vorab an ein Unternehmen verschicken?
Und würden sie eine Antwort bekommen?
Was ist deine Perspektive auf dieses Thema?
Füge sie gerne in den Kommentaren unten hinzu.
Vielen Dank.
