Deutschland, die Schotten, Barbara und ein Saxofon

Es begann in Garmisch-Partenkirchen. Die Bindestrich-Gemeinde war während der Fußball-EM 2024 zeitweise die Heimat der schottischen Fußballer. Die Stadt, eher bekannt für Wintersport, hatte sich bestens vorbereitet auf den Fußball.

Denn die Bürgermeisterin und ihr Team hatten erkannt: Schottland und Bayern haben viel gemeinsam: die Liebe zu Bier, einen schwer verständlichen Dialekt und traditionelle Folklore mit auffallenden Kostümen. Zur Begrüßung spielten folglich Alphörner und es wurde geschuhplattelt.

Und die Schotten? Revanchierten sich, indem die bald allseits beliebten Fans diverse Städte in Deutschland mit ihrer Dudelsackmusik beschallten und sich in voller Pracht marschierend in ihren Kilts zeigten.

Die Germany-Scotland-Love (deutsch-schottische Liebe) erreichte ihren vorläufigen Höhepunkt, als ein schottischer Fan sein Handy in einem Dixi-Klo vergaß. Eine deutsche Fangruppe fand es und lieferte es der Polizei aus. Nicht, ohne vorher ein Selfie als Beweis zu machen. Happy End: Das Handy fand zuverlässig zurück zu seinem Besitzer.

Diese Geschichte hat die Schottinnen und Schotten so beeindruckt, dass sie gerne und viel davon erzählten. Auch die internationale Presse bekam davon Wind und berichtete unisono: Die Deutschen sind ausgesprochen freundliche Menschen und wunderbare Gastgeber.

Völlig losgelöst!

 

Und dann ist da noch André, der Saxofonist. Kurz vor der EM wurde ihm sein Job als Musiklehrer gekündigt. Da er jetzt Zeit hatte und es überall Publikum gab, fing er an, die Fußballfans mit seinem Saxofon zu unterhalten. Im Völler-Trikot spielt er Hits zum Mitgrölen, darunter die Fanhymnen der letzten Turniere.

Und natürlich: den Hit der Generation X „Major Tom“ – die inoffizielle Torhymne der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Seine Fangemeinde wächst und die Zeitung „The Guardian“ aus England hat schon über ihn berichtet. Und wenn die englische Presse einen Deutschen lobt, gilt das quasi als Ritterschlag.

Wir lernen also: Wir Deutschen werden von den vielen internationalen Gästen als besonders hilfsbereit, gastfreundlich, unterhaltsam und überhaupt als tolle Menschen wahrgenommen, mit denen man befreundet sein will. Ist das nicht Balsam für unsere Ohren?

Für uns, die wir selbst am liebsten über „typisch deutsche“ Entgleisungen lamentieren, kein gutes Haar an unseren handwerklichen und organisatorischen Fähigkeiten lassen und sehr besorgt sind über die zunehmende Verrohung in der Gesellschaft, ist das kaum zu glauben.

Was es an Deutschland zu kritisieren gibt:

 

Zur Wahrheit gehört auch, dass die meisten ausländischen Gäste schockiert sind von der schlecht funktionierenden Infrastruktur in Deutschland, speziell bei Bahn und Nahverkehr. Auch das instabile Internet und die wenig fortgeschrittene Digitalisierung und damit der „Zwang“ zur Barzahlung wird kritisiert. Ein paar Fußballfans versicherten glaubhaft: „Wir hätten viel mehr Geld hier ausgegeben, hätten wir öfters mit Kreditkarte bezahlen können.“

Die New York Times titelte folglich sinngemäß: Vergessen Sie alles, was Sie über deutsche Effizienz wussten! Danke, New York Times, das musste einfach mal so deutlich gesagt werden. Und Außenstehende können das besser als wir. Übrigens: Habt ihr schon über die Schuldenbremse berichtet?

Barbara und ihr Rhabarberkuchen

 

Wie gut, dass die New York Times auch das andere deutsche Phänomen zum Thema machte: Barbara und ihren Rhabarberkuchen.

Falls du nicht weiß, wovon ich spreche, warst du die letzten Monate entweder im Gefängnis oder in einem Schweigekloster. Oder du hast keinen zuverlässigen Internetzugang, was ja in Deutschland durchaus sein kann, wie jetzt auch das Ausland weiß.

Wer gelegentlich im Netz unterwegs ist, kommt nicht um das herum, was von Berlin und von TikTok aus seit Monaten die Welt begeistert: ein deutscher Zungenbrecher-Rap, getextet und produziert von den Genies Bodo Wartke und Marti Fischer:

Barbaras Rhabarberbar und der bombastische Rhabarberkuchen mit drastischer Nachfrage, die barbarischen Fans, die sich beim Bartbarbier sogar ihren Barbarenbart stutzen ließen, um für Barbara akzeptabel zu sein.

Das Video wird auf TikTok und YouTube rauf und runter geschaut und hat weltweit Fans. Alle möglichen Internet-Stars nahmen ihre eigenen Versionen auf. Es gibt Barbaras Rhabarberbar in unzähligen Sprachen und Dialekten.

Als zwei Australierinnen zum Song in einer öffentlichen Toilette einen Tanz aufnahmen, ging Barbara noch einmal viral – und mit ihr der Rhabarber, der wohl außerhalb Deutschlands vorher nur wenige Fans hatte.

Jetzt tanzten also unzählige Menschen vor laufender Kamera die markante Choreografie. Schließlich taten es auch die Verursacher, Bodo und Marty – und zwar ziemlich cool inklusive Hüftschwung.

Es kam, wie es kommen musste:

 

Teil zwei des Barbara-Songs folgte und auch davon gibt es wieder unzählige Varianten, die die Welt begeistern!

Die Weltbevölkerung lässt sich voller Bewunderung über das deutsche Phänomen aus. Ihr ist es egal, dass wir Deutschen „eigentlich“ eher als humorlose Spaßbremsen bekannt sind, die nicht tanzen können und eine „unsexy“ Sprache sprechen.

Hey, vielleicht dürfen wir endlich sagen: bekannt waren! Denn Deutschland hat sich verändert, und zwar nicht nur zum Schlechten!

Ja, die Züge sind unpünktlicher, die Baustellen auch, die Wirtschaft schwächelt und die Krisen werden seit langem miserabel gemanagt.

Hier ist trotzdem eine Anregung für einen Perspektiv-Wechsel:

 

  • Wie wäre es, wenn wir Deutschen uns selbst und unser Land einfach mal anders zu betrachten wagten?
  • Wir wäre es, wenn wir, wie unsere Freunde und Freundinnen aus dem Ausland, Deutschland dafür feierten, was gut läuft?
  • Wir haben wieder Dichter im Land, die rappen und tanzen können.
  • Wir spielen wieder ansehnlichen Fußball und haben ein sympathisches Team mit einem jungen Trainer (kein Boomer!).
  • Wir sind weltoffen und helfen Menschen aus dem Ausland – ohne Gegenleistung und ohne Neid.

Wie wäre es, wenn wir uns selbst einfach ein bisschen mehr mögen?

 

Vielleicht können wir uns ein Beispiel an den skandinavischen Ländern nehmen, in denen die glücklichsten Menschen der Welt leben – trotz hoher Steuern.

Vielleicht ist die Zeit jetzt reif, um uns von unserem alten Image als effizientes, gut organisiertes Land mit hoher Ingenieurskunst und den besten Autos der Welt zu verabschieden.

Vielleicht darf Deutschland endlich für anderes stehen, als für eine brummende Industrie, die auf Fleiß, Leistung, Schweiß und Tränen basiert.

Vielleicht kann „made in Germany“ heute ein Prädikat sein für Weltoffenheit, Humor, Völkerverständigung und daraus folgend für Frieden.

Ich halte das für einen gelungenen Imagewechsel!

Und die Marketing-Kampagne dazu läuft schon.

Völlig losgelöst und fast gratis!

 

PS: Was sind deine Ideen: Wofür könnte Deutschland noch weltweit bekannt sein?

Was ist deine Perspektive auf dieses Thema?

Füge sie gerne in den Kommentaren unten hinzu.

Vielen Dank.

Gabriele Feile

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