Für Menschen, Frauen und Männer
Zuletzt las ich ein Buch von Ewald Arenz: „Ein Lied über der Stadt“.
Die junge Luise schafft es, in den 1930er Jahren, Pilotin zu werden. Als die Nazis die Macht übernehmen, erlebt sie, wie die Rolle der Frauen innerhalb kürzester Zeit neu definiert wird. Nichts mehr mit Fliegen – und auch ihr Brotjob als Lehrerin wird ihr verwehrt.
Die wenige bezahlte Arbeit soll für die Männer da sein. Frauen sind dazu da, Kinder zu bekommen. Basta.
Beim Lesen wurde mir dieses Mal mulmiger als früher. Denn die Geschichte kennen wir ja. Doch dass sie sich jetzt gerade an vielen Orten wiederholt, macht mir wirklich Sorgen.
Wer die Rhetorik von Trump, Vance, Musk und ihren Kumpanen bei der AfD, der FPÖ oder anderen rechtsnationalen Parteien verfolgt, fühlt sich rund 100 Jahre zurückgeworfen.
Alle Frauen reagieren darauf empört und setzen sich vehement für Frauenrechte, Gleichberechtigung und feministische Lösungen ein.
Alle Frauen? Ein schöner Traum.
Noch heute reagieren Frauen meiner Generation verschnupft und ablehnend, wenn das F-Wort, nämlich Feminisums, fällt.
Sie distanzieren sich so rasant davon, als ob ihr Leben davon abhinge. Sobald in Gesprächsrunden jemand sagt, dass wir uns als Frauen mehr zutrauen, mehr nehmen und mehr starkmachen sollten, wird die Stimmung eisig.
Reflexartig stellen Frauen klar: „Ich habe nichts gegen Männer und will mich nicht gegen sie stellen.“
Oder sie sagen: „Mit dem Kampfbegriff ‚Feminismus‘ will ich nichts zu tun haben. Wir haben doch eh viel zu viele -ismen auf der Welt.“
Häufig folgt ein Rückzug mit der Begründung: „Ihr seid mir zu feministisch.“
Ja, all diese Sätze und noch viele mehr habe ich live gehört.
Genauso oft habe ich andere Sätze nicht gehört, weil sich Frauen nicht trauen, sich für sich selbst und ihre Geschlechtsgenossinnen einzusetzen.
Bloß nicht als Feministin rüberkommen – das ist häufig das Gebot.
Frauengruppen sind oft schwierig
Im Vergleich zu meinen früheren Berufsjahren, wo ich meist zur weiblichen Minderheit an Konferenztischen gehörte, finde ich mich seit einigen Jahren immer häufiger in rein weiblichen Runden wieder.
Obwohl mir oft klare Ergebnisse fehlen, sind solche Treffen vorwiegend sehr angenehm. Denn Frauen kommunizieren anders als Männer.
Frauen empfinden Zusammenkünfte eher dann als erfolgreich, wenn es eine gute Energie gibt und alle glücklich sind. So fühlen sie sich sicher und am richtigen Platz.
Schert eine aus und wagt es, den vom Patriarchat so lange erfolgreich verteidigten Status Quo infrage zu stellen, wird es ungemütlich. Der gerne zitierte „Zickenkrieg“ setzt ein, und jede jemals vorhandene Solidarität unter Frauen geht flöten.
Gefallsucht, Perfektionismus, Selbstaufgabe und Zickengehabe – all das sind Ausprägungen von toxischer Weiblichkeit, wie es die Autorin Sophia Fritz im gleichnamigen Buch nennt.
Diese scheint in der Gesellschaft, im Gegensatz zum Feminismus, komplett akzeptiert zu sein.
Frauen, die sich für ihre Familie aufopfern, „Powerfrauen“, die alles kontrollieren und Bitches, die hinter dem Rücken über andere lästern, anstatt das direkte Gespräch zu suchen: All das gilt als typisch weiblich. „So sind sie halt, die Frauen“, sagen sie sogar über sich selbst.
Es kann nur eine Maria geben!
Die Ursache für viele dieser Verhaltensweisen heißt übrigens: Schlumpfine-Prinzip.
Von klein auf werden wir mit Geschichten, Büchern, Filmen und Serien konfrontiert, in denen es in der Regel nur eine attraktive, coole oder erfolgreiche Frau inmitten einer männerdominierten Welt gibt.
Schlumpfine, die sexy Blondine, darf mit den männlichen Schlümpfen mitspielen.
Bei Harry Potter, Star Wars, Ocean’s Eleven, TKKG und sogar in der Weihnachtsgeschichte gibt es nur eine einzige weibliche Hauptrolle, während es zahlreiche unterschiedliche Rollen für Männer gibt.
Solange Angela Merkel Kanzlerin in Deutschland war, reichte das wohl den meisten Frauen in Deutschland aus! Jetzt mussten sie nicht mehr feministisch sein. Eine von uns hat es geschafft, mehr geht nicht!
Wir Frauen reagieren also intuitiv: Wenn wir diese eine Frau sind, die es geschafft hat, müssen wir alle anderen bekämpfen! Wenn wir nicht diese eine Frau sind, suchen wir in ihr möglichst viele Fehler und machen ihr das Leben schwer.
Das musste Annalena Baerbock gerade erfahren, als sie sich, ohne Schlammschlacht, von ihrem Mann getrennt hat und das der Öffentlichkeit mitteilte. Von allen Richtungen – auch von Frauen – bekam sie Häme und Hass zu spüren. Dafür, dass sie das (auch noch) aushält, gebührt ihr der größte Respekt.
Anstatt uns also gemeinsam dafür einzusetzen, dass es mehr als eine Frau schafft, sichtbar und wirksam zu werden, lassen wir uns von Neid und Missgunst leiten und unterstützen damit fortlaufend das Patriarchat.
Anstatt uns gemeinsam für Gleichberechtigung starkzumachen, machen wir lieber andere Frauen schwach. Alles nur, um nicht für den Feminismus sein zu müssen.
Das Patriarchat – die erfolgreichste Strategie der Welt
Als ich mich vor einigen Jahren dafür interessierte, wie das Patriarchat entstanden ist, gaben mir einige Mitmenschen selbstzufrieden die Antwort: Die katholische Kirche ist schuld.
Sorry, Darling, you are very wrong!
Die Kirche sprang sehr viel später auf den Zug auf – quasi als Influencer. Schon immer war diese Institution eine Meisterin des Marketings – oder welches Buch liegt, außer der Bibel, in jedem Hotelzimmer?
Das Patriarchat entstand – übrigens an mehreren Orten gleichzeitig – als die Menschheit sesshaft wurde. Diese heute oft so gefeierte Errungenschaft war der Anfang der meisten der -ismen, die wir heute kennen. Ungleichheit ist seither eine Begründung für Kämpfe aller Art.
Die Frauen haben einen beträchtlichen Anteil an dieser Entwicklung. Denn sie waren es, denen es gelungen ist, vormals wilde Pflanzen zu kultivieren und Ackerbau zu betreiben. Das mühsame Nomadenleben hatte endlich ein Ende – und leider auch die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern.
295.000 Jahre vor diesem „Sündenfall“, also etwa 99 Prozent der bisherigen Menschheitsgeschichte, lebten wir in kleinen, egalitären Gruppen als nomadische Jägerinnen und Sammler in der Steppe. Frauen und Männer trugen beide gleichermaßen substanziell zum Familien- und Gruppenunterhalt bei.
Das sesshafte Leben führte dazu, dass Frauen mehr Kinder bekamen. Die häufigen Schwangerschaften schwächten die Gesundheit der Frauen mehr und mehr und sie wurden dadurch in die Defensive gedrängt.
Fruchtbares Land, Vieh und angehäufte Vorräte weckten Begehrlichkeiten bei anderen Gruppen und mussten von Männern verteidigt werden. Das war der Anfang von kriegerischen Auseinandersetzungen, die es bis heute gibt.
Eigentum wurde von den Vätern nur an Söhne weitervererbt, die von den Frauen geboren und aufgezogen werden mussten. Die Söhne brauchten irgendwann Ehefrauen, um ihr Erbe zu erhalten, sodass Frauen ihre Ursprungsfamilie verlassen mussten und damit ihren sozialen Halt verloren.
Mit dem sich bald einbürgernden Brautpreis wurden Frauen endgültig zu einer Sache, einem Ding, einem Objekt, mit dem Mann handelte, das Mann im Zweifel raubte oder um das Mann zur Not kriegerisch kämpfte.
Männer bestimmten – gerne gewaltsam – über Frauen, vor allem über ihre Sexualität und ihren Körper. Denn dieser wurde benötigt, um männliche Erben zu „produzieren“.
Na, klingelt was?
Mit dem Patriarchat ist es wie mit dem linearen Fernsehen
Wir wurden in Deutschland so konditioniert, dass um 20.15 Uhr die Hauptsendung des Abends beginnt – nach der Tagesschau.
Noch heute ist meine innere Uhr am Abend darauf ausgerichtet, und das, obwohl ich gar keinen Fernseher mehr habe, und obwohl das Internet Streamen zu jeder Tages- und Nachtzeit erlaubt.
Das Fernsehen als Massenphänomen gibt es erst seit den 1950er Jahren.
Ein Phänomen wie das Patriarchat, das wohl seit rund 10.000 Jahren existiert, hat sich, kein Wunder, tief in unseren Genen eingenistet.
Wir, Frauen wie Männer, kennen kein anderes System. Wir sind so auf Geschlechterklischees gepolt, dass wir sie gar nicht infrage stellen. Dabei hat die Menschheit, wir erinnern uns, 99 % ihrer Geschichte, nicht in diesem System verbracht!
Selbst Bildung hilft nicht!
Ich wundere mich täglich, dass junge, sehr gut ausgebildete Frauen, es nicht schaffen, ihre Rolle als Frau gleichberechtigt zu leben, sobald sie Kinder bekommen. Ruckzuck finden sie sich in der Rolle der Gebärenden wieder, die zurückgedrängt wird an das heimische Lagerfeuer. Hier interessiert sich niemand für ihren erstklassigen Abschluss oder ihren Doktor-Titel.
Während sich das Leben der Väter nach der Geburt überhaupt nicht verändert. Es wird sogar besser: Beförderungen, Lohnerhöhungen, Anerkennung, Ruhm und Ehre.
Versuchen Mütter, das „Spielfeld“ der Männer zu entern, müssen sie die Konsequenzen selbst tragen: Mehrfachbelastung, Missgunst durch andere Frauen, Gender-Pay-Gap, Rentenlücke, fehlende Wertschätzung und, und, und. Es ist ein Drama.
Wenn sie Zeit finden, passende Bücher zu lesen, dämmert es vielen Frauen: Romantisierte Hochzeitsrituale sind kein Garant für ein gleichberechtigtes Leben mit dem Ehemann.
Dass ihr Vater sie den Altar entlang führte, geht zurück auf die Tatsache, dass die Braut vom Vater an den zukünftigen Mann übergeben wurde – damit wurde der Kaufvertrag erfüllt.
Ist das jetzt besser oder schlechter als Feminismus?
Frauen aller Länder verschwestert euch!
Vielleicht hat Kamela Harris die Wahl in den USA deshalb nicht gewonnen, damit wir Frauen uns nicht wieder zurücklehnen können, weil es eine von uns geschafft hat!
Sondern damit wir uns endlich solidarisch und gemeinsam für eine gerechtere Welt für Frauen und damit für alle Menschen einsetzen.
Denn: Wenn es Frauen gutgeht, geht es allen gut, auch Kindern, Männern und allen anderen.
Genau darauf basiert die feministische Außenpolitik von Annalena Baerbock. In einer bemerkenswerten Rede sagte sie: „Wenn Frauen nicht sicher sind, ist niemand sicher. Wo Frauen sicher sind, sind alle sicherer.“
Es ist ein Fakt, dass Friedensverträge stabiler sind, wenn Frauen daran mitschreiben.
Feminismus ist also Friedensarbeit. Hast du was gegen Frieden?
PS: Übrigens können nicht nur Frauen Feministinnen sein, auch Männer dürfen das Patriarchat überholt und ungerecht finden und sich für mehr Gerechtigkeit einsetzen!