Tatort: Wahl

Ich finde, es wird zu viel gemordet in Deutschland. Von Rosenheim über Münster bis nach Schwanitz an der Ostsee: Überall türmen sich Leichen. Es gibt definitiv keinen Fachkräftemangel bei TV-Kommissaren und TV-Kommissarinnen. Sie alle sind hocheffektiv und schaffen es, ihre Fälle wie einst MacGyver unkonventionell und rasant zu lösen. Gut, dass die nächste Leiche schon wartet.

Beim letzten Tatort aus Stuttgart „Verblendung“ konnte ich der Beschreibung nicht widerstehen. Sie versprach Nervenkitzel ohne Ende. Und in der Tat: Die Geschichte werde ich wohl nie vergessen.

In einem Stuttgarter Kino wird ein Film zum Thema „Demokratie“ gezeigt. Zur Premiere ist ein illustres Publikum geladen. Mit dabei: Polizeipräsident, Staatssekretär aus dem Innenministerium, zweifelhafter Lokalpolitiker und Arzt, bekannte Fernsehjournalistin und ein Kommissar, in diesem Falle Bootz, weil Lannert ein Date hat.

Schon nach wenigen Minuten bringen zwei bewaffnete Rechtsextremisten den Saal in ihre Gewalt – inklusive Sprengstoffbombe am Eingang. Der erste Kinogast wird erschossen, der Geiselnehmer angeschossen. Die Rädelsführerin stellt ihre Forderung nach Freilassung von Terroristen und einem Geständnis des Innenministers über den Mord an Gefangenen.

Ein perfides Kammerspiel beginnt, während sich draußen die Sonderkommission formiert und fieberhaft recherchiert und verhandelt.

 

Die Qual der Wahl

 

Um den Druck zu erhöhen, erschießt die Geiselnehmerin jede halbe Stunde eine Geisel. Und zwar nicht schmerz- und wahllos, sondern nach demokratischen Prinzipien. Sie stellt zwei Personen gegenüber und lässt das anwesende „Volk“ per Handzeichen entscheiden, wer sterben soll. Zu Bootz’ Entsetzen, machen einige der Anwesenden willig mit. Sein Appell: „Tun Sie das nicht, Sie könnten als Nächste da vorne stehen!“ verpufft. „Lieber die als ich!“, ist die Antwort.

Es sterben: der Polizeipräsident und der Arzt.

Sicherlich ist es nicht ohne Absicht, dass dieser Tatort in Stuttgart spielt und die Terroristen in der JVA Stammheim einsitzen. Auch wird sicher bewusst eine Situation erschaffen, die am Sonntagabend die Menschen zum Nachdenken über die Demokratie und über die bevorstehende Wahl in Deutschland auffordert. Ein Entkommen gibt es nicht!

 

Wählen, ohne zu quälen

 

Der Vergleich ist gar nicht so weit hergeholt. Die Geiseln bangen um ihr eigenes Leben – sie haben Todesangst. Da passt es doch gerade gut, dass sie selbst nicht in der Schusslinie stehen, sondern Fremde.

Menschen, deren Leben garantiert weniger wert ist, als ihr eigenes. Um die es nicht schade ist! Lieber die als ich! Sie hoffen darauf, dass Rettung kommt, bevor sie selbst die Pistole am Kopf haben. Dann ist es nochmals gut gegangen. Danke, weitermachen!

In einer echten Demokratie sind Wahlen das zentrale Element – freie und geheime Wahlen wohlgemerkt. Die Menschenwürde ist nicht verhandelbar, sie ist allen Menschen gleichermaßen zugeteilt. Ein Abwägen, welches Menschenleben mehr wert ist, ist schlichtweg nicht vorgesehen.

 

In und mit Würde wählen

 

Wenn wir die Menschenwürde aller Menschen verteidigen wollen, ergibt sich eine Wahl ohne Qual fast von alleine. Wenn wir die Perspektive wechseln und uns vor dem Setzen des Kreuzes fragen: Für wen soll meine Stimme sprechen?, ist das Wählen fast ein Kinderspiel.

Das heißt: Solange sich das Ego nicht durchsetzt. Denn das Ego ist der Teil von uns, der ohne zu zögern abstimmt, welche Geisel erschossen werden soll. Übertragen auf die Bundestagswahl: Das Ego wählt die Partei, die ihm selbst gefühlt die meisten Vorteile verschafft – auch wenn andere dafür leiden müssen!

Egos sind Fähnchen im Wind, die ihre Haltung blitzschnell anpassen: Sie gehören zu den Reichen, wenn es um geplante Steuererleichterungen geht, und sie zählen sich zu den Armen, wenn es um zu beantragende Finanzspritzen geht. Sie tun alles, um ihre egozentrischen Ziele zu erreichen.

Selbst Unterstützung von ihren Feinden nehmen sie gerne an, wenn es der eigenen Sache dient! Egos sind nämlich unsichere Gesellen, die ständig Bestätigung brauchen. Sie sind die Größten, wenn es darum geht, einen Sündenbock zu finden.

Das Ego wählt gegen alles Mögliche, am häufigsten gegen Veränderung. Denn das Ego mag es gerne bequem. Alles, was am eigenen Status kratzt, wird als gefährlich eingeschätzt. Deshalb reagieren Egos auf Angstmacherei, auf Fake News und auf einfache Parolen. Die Egos in der Politik wissen das und füttern die Wählerschaft entsprechend. Alles, um ihre eigenen Ziele durchzusetzen.

 

Bittere Erkenntnis: Egos wählen Egos

 

Anders ist es nicht zu erklären, warum Parteien, Politiker und Politikerinnen Wahlen gewinnen, die nicht weiter vom Alltag und den tatsächlichen Problemen ihrer Fans weg sein könnten, als der Mars von der Erde.

Über-Reiche mit megareichen Freunden, die sich „dem kleinen Mann“ als Freund andienen, um nach ihrer Wahl alles zu tun, damit er klein bleibt. Anderen was abgeben? Nein, danke, die sollen erst mal was leisten!

 

Eine Anti-Ego-Wahlhilfe

 

Angesichts der jüngsten Entwicklungen in der Parteienlandschaft, dem Fallen des letzten Tabus im Bundestag und einem amerikanisierten Wahlkampf, sind viele Menschen in Deutschland verunsichert. Alte Wahlroutinen scheinen nicht mehr zu funktionieren.

Taktisch zu wählen, klingt zwar gut, ist aber nicht so einfach. Nichtwählen scheint die bequemste Lösung. Leider ist dies nicht besonders demokratisch, weil das die Wahlergebnisse beeinflusst, ohne dass man mitreden kann. Dasselbe gilt für das Wählen von Kleinstparteien, die vermutlich an der 5-Prozent-Hürde scheitern.

Es steht mir nicht zu, zu bestimmen, welche Partei du wählst. Dennoch will ich erwähnen, worüber wir uns sicher einig sind: Die Zeit des blau-braunen „gefahrlosen“ Protestwählens ist lange vorbei! Österreichische Verhältnisse hatten wir schon einmal in Deutschland – diesen Fehler dürfen wir nicht noch einmal machen! #NieWiederIstJetzt

 

Hier ist ein Vorschlag, wie du wählen kannst, ohne dich und andere zu quälen:

 

Wähle nicht ausnahmslos für dich und deinen Status Quo, sondern wähle für die Menschen in deiner Umgebung, die vielleicht keine Stimme haben.

 

Zum Beispiel:

 

  • Wähle im Sinne deiner Kinder und Enkelkinder, die ganz sicher noch länger die Folgen deiner Wahlentscheidung spüren werden, als du. Sorge dafür, dass sie Zuversicht verspüren.

 

  • Wähle im Sinne der Frauen, die in deinem Leben sind: deine Mutter, deine Partnerin, deine Tochter, deine Enkelin, deine Nichte, deine Kolleginnen, deine Freundinnen und Nachbarinnen. Sorge dafür, dass sie gleichberechtigt leben können und so ihre Lebensaufgabe erfüllen.

 

  • Wähle für diejenigen, deren Pass ihnen das Wählen in Deutschland nicht erlaubt – selbst wenn sie hier geboren sind und ihre Heimat haben und oft besser Deutsch sprechen als die „Biodeutschen“.

 

  • Wähle für diejenigen, die eine Migrationsgeschichte haben (so wie du und ich übrigens auch – unser aller Gencocktail ist wild). Egal, ob sie fliehen mussten, ausgewandert sind oder unseren Fachkräftemangel auffangen: Ohne sie bricht unser eh schon fragiles System zusammen.

 

  • Wähle für jemanden in deinem Umfeld, der/die queer ist – ganz sicher kennst du jemanden. Vielleicht ist es dein Kind, ein Kollege, deine Ärztin oder der nette Nachbar, der ein super Hundesitter ist.

 

  • Wähle für Menschen mit Behinderung, psychischen Krankheiten oder Long Covid. Ihre Würde wiegt genauso viel wie deine, auch wenn ihre Stimme nicht so laut ist und ihre „Leistung“ scheinbar nicht ausreicht für den Kapitalismus.

 

  • Wähle für Menschen, die in finanziell schwachen oder armen Verhältnissen leben müssen – Kinder, Erwachsene, Alte. Sie meistern ihr Leben und haben ein Recht darauf, Teil der Gemeinschaft zu sein und versorgt zu werden.

 

  • Wähle für die Mutigen, die sich trauen, Gesicht zu zeigen und die enorm viel Hass aushalten müssen, weil sie für ihre gute Sache einstehen.

 

Kurzum: Wähle etwas, das dein Ego ablehnt und erhebe dich so nicht über andere – sondern gib ihnen und dir die Würde, die wir alle verdienen.

 

Wähle weise und vorausschauend,

wähle Zuversicht statt Rückschritt,

wähle Kommunikation auf Augenhöhe statt von oben herab,

wähle das Wir statt das Die,

wähle Sanftmut statt Zorn,

wähle Verständnis statt Missgunst,

wähle Frieden statt Krieg,

wähle Solidarität statt Kampf,

wähle Zukunft statt Vergangenheit.

Wähle für dein Herz statt für dein Ego!

 

PS: Wie Egos ticken, die getriggert werden, hat die Bischöfin Mariann Edgar Budde vor kurzem ausprobiert. Ihre starke und mutige Predigt, in der sie um nichts weiter als um Gnade für alle Menschen bat, hat den amerikanischen Präsidenten und seine Gefolgschaft sichtbar getroffen. Danke, Frau Bischöfin. Hier ist ein kurzer Ausschnitt mit deutscher Übersetzung.

 

Was ist deine Perspektive auf dieses Thema?

Füge sie gerne in den Kommentaren unten hinzu.

Vielen Dank.

Gabriele Feile

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