Das Maß ist voll! Auf das Maßhalten!

An Ostern überschlagen sich ja traditionell die Ereignisse. Vier Tage am Stück Events und Unterhaltung – das heißt heutzutage: Festival. Für alle, die im Reli-Unterricht nicht aufgepasst haben oder abwesend waren, hier eine kurze Zusammenfassung, was vor rund 2000 Jahren in Jerusalem passiert ist:

Es gibt ein Abschiedsessen für den inneren Kreis. Einer der Eingeladenen fühlt sich dazu berufen, seinen Freund und Mentor zu verraten. Es folgen Haft, Verurteilung und eine unmenschliche Tortur in aller Öffentlichkeit. Am Ende steht ein langsamer und qualvoller Tod am Kreuz. Frieden gibt es erst im Grab, und drei Tage später die Überraschung: Das Grab ist leer, der Totgeglaubte lebt.

Das größte christliche Fest wird begangen nach einer 40-tägigen Fastenzeit. Worauf verzichtet wird, das ist heutzutage allen freigestellt. Es gibt Handy-Fasten, Alkoholverzicht oder Verzicht auf Faulheit durch mehr Sport.

Kaum ist die Fastenzeit vorbei, darf wieder über die Stränge geschlagen werden – ungestraft. Alte Gewohnheiten nehmen ungehemmt ihren alten Platz ein, zumindest meistens.

Es gibt aber Menschen, die es schaffen, den „Verzicht“ in den Alltag hinüberzuretten. Dafür brauchen sie nicht mal einen von einer Institution vorgegebenen Zeitrahmen. Die Verwandlung vom Saulus zum Paulus kann jederzeit erfolgen, ganz ungeplant.

Wie viele Autos braucht ein Mensch?

 

Am Karsamstag stehe ich in der Schlange vor dem einzigen Fahrkartenautomaten am Bahnhof. Ein paar junge Männer helfen einer Frau, die nur gebrochen Deutsch spricht, beim Ticketkauf.

Dahinter lehnt ein Rentner an seinem Fahrrad und wartet geduldig, bis er an der Reihe ist. Wir kommen ins Gespräch, weil wir beide das gleiche Ticket lösen wollen: ein rabattiertes nämlich.

Aus heiterem Himmel und mit einem Schalk im Gesicht sagt er zu mir: „Ich habe kein Auto mehr! Jetzt fahre ich Bus und Bahn.“

Ich lächle ihn an und bestätige, dass ich es auch schon lange so halte. So von mir ermuntert, fährt er fort: „Früher hatte ich drei Autos gleichzeitig, alles Mercedes! Die standen die ganze Zeit nur herum. Denn für alle täglichen Wege konnte ich meinen Geschäftswagen nutzen. Jetzt bin ich Rentner und habe alle Autos verkauft. Und plötzlich habe ich Geld!“

Zugegeben, ich war kurz etwas perplex. Denn hier, wo ich lebe, im Bindestrich-Autoland Baden-Württemberg, sind solche Geschichten rar.

Meistens werden sie andersherum erzählt: Menschen ohne Auto und Führerschein schicken sich an, beides schnellstmöglich zu erwerben, denn ohne Auto ist man hier (auf dem Land) aufgeschmissen. Außerdem fällt man aus dem Rahmen, was die meisten nicht aushalten.

Ich fange mich schnell und gratuliere dem netten Rentner zu seiner Entscheidung. Dann frage ich interessiert nach, warum er denn drei Autos hatte. „Keine Ahnung“, gibt er entwaffnend ehrlich zu. „Die Autos standen in der Garage und eins davon habe ich manchmal sonntags ausgefahren. Mehr nicht. Das war total irre!“

Dieser Rentner weckt in mir die österliche Hoffnung, dass es möglich ist, das eigene, jahrzehntelang gut eingeübte Verhalten infrage zu stellen und es radikal zu ändern. Aus einem Leben im Überfluss kann ein Leben in Maßen werden.

Einer der Besten im Maßhalten – bis über den Tod

 

Zwei Tage später, am Ostermontag, verkündet der Vatikan die traurige Botschaft, dass Papst Franziskus gestorben ist. Der Mann, der uns allen vorgelebt hat, was Maßhalten bedeutet.

Jorge Mario Bergoglio hat als erster in der Geschichte der katholischen Kirche Franziskus von Assisi als seinen Namensgeber gewählt. Dieser, als reicher Kaufmannssohn geboren, hat sich im 13. Jahrhundert seiner weltlichen Güter entledigt und sich den Armen zugewandt. Er gründete später seinen eigenen Orden, der noch heute existiert.

Papst Franziskus hat nicht diejenigen hofiert, die Geld und Reichtümer haben. Er bevorzugte die Armen, Schwachen und Mittellosen. Bis über den Tod hinaus hat er ihnen einen Platz eingeräumt.

Zu den Letzten, die sich von Franziskus verabschieden konnten, gehörten Obdachlose und Geflüchtete. Er hinterließ ihnen auch Geld.

Während seiner Amtszeit lebte er nicht so päpstlich wie seine Vorgänger im Palast. Er bevorzugte ein kleines Apartment und fuhr Fiat statt Mercedes.

Und damit all das auch in Zukunft nicht vergessen wird, steht auf seinem Grab nur sein Name: Franziskus. Mehr Bescheidenheit im höchsten Amt der katholischen Kirche geht fast nicht.

Wer auch immer Papst Franziskus nachfolgt, tritt in tiefe Fußstapfen. Wollen wir ihn daran messen, wie gut er maßhalten kann?

Das Wesentliche ist genug!

 

Vor kurzem habe ich meine geschäftlichen Dinge neu geregelt. Ich habe das, was ich ständig predige, auch bei mir selbst angewandt: Ich fokussiere mich auf das Wesentliche. Also darauf, was mir und meinem Wesen entspricht.

In meinem Fall ist es das Schreiben und das Kuratieren von wertvollen Inhalten. Deshalb gibt es seit neuestem das Magazin #schmetterlingsfrequenz – ein Magazin für Mutige. In diesem Magazin erscheint übrigens auch die Kolumne, die du gerade liest.

Wie immer bei solchen Bekanntmachungen, gibt es neben denen, die schweigen und den Ablehnenden eine Handvoll Menschen, die sich inspiriert fühlen und jetzt selbst weitgehende Entscheidungen treffen. Als hätten sie nur darauf gewartet, dass ihnen jemand, in diesem Fall ich, die Erlaubnis gibt, Dinge gehen zu lassen.

In unserer westlichen Gesellschaft ist es nämlich verpönt, Rückschritte zu machen: nicht beim Gehalt, nicht beim Status, nicht beim Besitz.

Wer zu viel loslässt oder auf Dauer verzichtet, gilt als gescheitert oder schwach. Dass Verzicht und Maßhalten Freiheit bedeuten, das kommt vielen Menschen nicht in den Sinn.

Besitz macht Arbeit, viel Besitz macht viel Arbeit

 

Wer ein Haus, womöglich mit Garten, sein Eigen nennt, weiß: Nur durch laufendes Instandhalten bleibt der Besitz erhalten. Es kostet Zeit und Geld – und nicht selten viele Nerven – das eigene Dach über dem Kopf zu pflegen und das Grundstück zu hegen. Je größer, desto mehr!

Es braucht Werkzeug, Maschinen, Material – und einen Platz, wo all dies aufbewahrt werden kann. Dasselbe gilt für Fahrzeuge, auch für die drei, die niemals gefahren werden.

Kurzum: Besitz bleibt niemals allein, er vermehrt sich hemmungslos wie die Karnickel (um im österlichen Bild zu bleiben). Das rechte Maß zu halten, ist dabei eine große Aufgabe. Und viele, ja die meisten, scheitern daran.

Ein paar Fragen dürfen erlaubt sein!

 

Gerade jetzt, wo die Wirtschaft nicht das macht, was uns allen ein Leben in gewohnten, wohlhabenden Bahnen erlaubt, bietet es sich an, ein paar Fragen zu stellen. Der Papst macht es nicht mehr, also tue ich es:

  • Warum gilt Wachstum immer noch als Erfolg?

 

  • Was wäre, wenn die Welt sich auf das Wesentliche fokussieren würde?

 

  • Was ist das Wesentliche für die Welt?

 

  • Und was ist das Wesentliche für die Menschheit?

 

  • Wo genau ist das Maß, das wir verlernt haben zu halten?

 

Maßhalten ist das Gegenteil von Habgier

 

Habgier ist ziemlich unsexy. Das wurde nicht erst in der Pandemie deutlich, als sich die Kundschaft im Supermarkt um die letzte Packung Toilettenpapier stritt. Wie unwürdig!

Habgierige Menschen wissen nicht, wann das Maß voll ist. Sie haben völlig den Bezug zu ihren Grundbedürfnissen verloren.

Wer habgierig ist, strebt endlos nach Besitz, auch wenn dieser keinen Nutzen bringt. Wenigstens macht er die Anderen neidisch. Habgier ist pures Ego.

Maßhalten hingegen bedeutet: Grenzen wahrnehmen, im Außen und bei mir selbst. Es heißt: zufrieden sein und darauf vertrauen, dass immer ausreichend von allem da ist, was ich brauche.

Zur Kunst des Maßhaltens gehört auch: keine Erdbeeren im März kaufen und sich vor den Eisheiligen zurückhalten mit dem Pflanzen von Gemüse im Freien.

Wer es schafft, Maß zu halten und sich und seine Bedürfnisse zu regulieren, wird mit schmackhaften, lokalen Erdbeeren im Juni belohnt. Und mit Gemüse, das nicht bei den letzten Frühjahrs-Frösten eingeht.

Und obendrein: mit einem Leben in Würde und Anstand.

Amen

 

PS: Auch über die Feiertage entdeckt: einen Aufkleber am Heck eines alten Wohnmobils. Darauf stand: Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht für jedermanns Gier. (Mahatma Gandhi)

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Gabriele Feile

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